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Kirchengericht:Revisionssenat der Evangelischen Kirche A. und H.B.
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:06.11.2006
Aktenzeichen:R7/2005
Rechtsgrundlage:§ 1 Abs 1 Satz 1 WahlO, § 46 Abs 4 KVO
Vorinstanzen:keine
Schlagworte: Anfechtung einer Wahl (Art 119 Abs 3 KV), Aufhebung der Wahl, Wahlanfechtung stattgegeben, geheime Wahl
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Leitsatz:

  1. Der Grundsatz des geheimen Wahlrechts ist eine der zentralen Säulen der Rechtsordnung der Kirche. Eine Wahl ist nicht geheim, wenn das unbeobachtete Ausfüllen von Stimmzetteln nicht gewährleistet ist (§ 1 Abs 1 Satz 1 WahlO).
  2. Ein Verstoß gegen § 1 Abs 1 der Wahlordnung betrifft in seinen Auswirkungen den gesamten Wahlvorgang und führt deshalb zur Aufhebung der Wahl zur Gänze (§ 46 Abs 4 KVO).
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Az: R7/2005
Der Revisionssenat der Evangelischen Kirche A. und H.B. in Österreich hat unter dem Vorsitz seines Präsidenten HRdOGH Dr. Manfred Vogel und in Gegenwart seines stellvertretenden Präsidenten RA Dr. Klaus Hoffmann, der zum geistlichen Amt befähigten Mitglieder Pfarrer i.R. Mag. Gottfried Fliegenschnee und Pfarrerin Mag. Roswitha Petz sowie der rechtskundigen Mitglieder SPdVwGH Dr. Ilona Giendl und HRdVwGH Dr. Dieter Beck im Beisein der Schriftführerin Trimmel über die Beschwerde 1. von *****, 2. von ***** und 3. von *****, alle p.A. *****, *****, betreffend die Anfechtung der Gemeindevertretungswahl in der Evangelischen Pfarrgemeinde ***** im Herbst 2005, den
Beschluss
gefasst:
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1. Die Beschwerden der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin werden als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.
2. Die Gemeindevertretungswahl in der Evangelischen Pfarrgemeinde ***** im Herbst 2005 wird zur Gänze aufgehoben.
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B e g r ü n d u n g :

Mit Eingabe vom 14. November 2005 haben die beschwerdeführenden Parteien die in der Evangelischen Pfarrgemeinde ***** im Herbst 2005 abgehaltene Gemeindevertretungswahl, deren vorläufiges Wahlergebnis am 6. November 2005 verkündet worden ist, angefochten.
Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin zogen in der Folge ihre Beschwerden zurück. Die diesbezüglichen Beschwerden waren daher gemäß § 45 Abs 6 der Verfahrensordnung (KVO) als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren insoweit mit Beschluss einzustellen.
Der Drittbeschwerdeführer brachte in seiner Beschwerde insbesondere vor, das unbeobachtete Ausfüllen der Stimmzettel sei nicht gewährleistet gewesen, weil es keinen geschützten oder gesonderten Bereich hiefür gegeben habe. Auch sei der Vorsitzende der Wahlkommission einige Male nicht anwesend gewesen, trotzdem seien Stimmen abgegeben worden. Bei der Auszählung der abgegebenen Stimmen sei in der Urne ein Stimmkuvert zuviel gewesen. Nach Beendigung der Wahl habe der Vorsitzende der Wahlkommission das Zusammenlegen der Wahlzettel beider Sprengel in ein Kuvert ohne gesonderte Auszeichnung der Sprengel vorgeschlagen, obwohl die Herkunft des überzähligen Kuverts nicht geklärt gewesen sei.
In der Sitzung des Revisionssenats vom 16. Februar 2006 wurde der Umfang der Anfechtung geklärt und in einem informativen Gespräch mit den Beschwerdeführern sowie der Kuratorin der betroffenen Pfarrgemeinde die näheren Umstände der Durchführung der Wahl erörtert. In weiterer Folge wurden schriftliche Äußerungen der jeweiligen Vorsitzenden der einzelnen Wahltage sowie des Presbyteriums der Pfarrgemeinde ***** eingeholt. In Anwesenheit des Drittbeschwerdeführers wurde am 6. November 2006 eine mündliche Verhandlung durchgeführt.
Der Revisionssenat nimmt folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Die Gemeindevertretungswahl fand an jenem Tag, an dem der Drittbeschwerdeführer seine Stimme abgab, im Kirchenraum statt. Einrichtungen für eine geheime Stimmabgabe (zB Wahlzellen oder durch Sichtschutz abgegrenzte Tische) gab es nicht. Zum Ausfüllen ihrer Stimmzettel nahmen Wähler in den Kirchenbänken Platz. Auf Grund dieser räumlichen Gegebenheiten bestand für andere Personen die Möglichkeit, in ausgefüllte fremde Stimmzettel Einsicht zu nehmen. Auf die Möglichkeit einer unbeobachteten Stimmabgabe (etwa in Nebenräumlichkeiten) wurden die Wahlberechtigten nicht hingewiesen.
Rechtlich ist zu erwägen:
Gemäß Art 119 Abs 3 der Verfassung der Evangelischen Kirche A u. H. B. in Österreich (KV) erkennt der Revisionssenat über die Anfechtung einer Wahl.
Zur Wahlanfechtung nach Art 121 Abs 1 Z 5 KV und zur Einbringung einer Beschwerde in den Fällen des Art 119 Abs 3 ist jeder an der angefochtenen Wahl aktiv Wahlberechtigte, jeder Wahlwerber und jede übergeordnete Stelle binnen 14 Tagen ab Kenntnis von Wahlanfechtungsgründen berechtigt.
Die rechtzeitige und zulässige Wahlanfechtung ist auch inhaltlich berechtigt.
Gemäß § 1 Abs 1 erster Satz der Wahlordnung haben alle Wahlen in geheimer Abstimmung mit Stimmzetteln ohne Unterfertigung oder sonstige Kennzeichnung zu erfolgen.
In dieser Bestimmung kommt der Grundsatz des geheimen Wahlrechts, eine der zentralen Säulen der Rechtsordnung unserer Kirche, zum Ausdruck.
„Geheim“ ist ein Wahlrecht dann, wenn der Wähler seine Stimme derart abzugeben vermag, dass niemand erkennen kann, wen er gewählt hat. Die geheime Wahl soll den Wähler nicht bloß vor unerwünschter Einflussnahme auf seine Willensbildung im Zuge des Wahlvorgangs bewahren, sie soll ihm auch die Sorge und Furcht nehmen, dass er wegen seiner Stimmabgabe in bestimmter Richtung Vorwürfen und Nachteilen welcher Art immer ausgesetzt sei. Der Grundsatz des geheimen Wahlrechts verlangt daher wirksame Vorkehrungen zur Geheimhaltung des Wahlverhaltens des einzelnen Wählers (Öhlinger, Verfassungsrecht6 Rz 380). Die Abgabe der Stimme hat stets in einer für die Wahlbehörde und die Öffentlichkeit nicht erkennbaren Weise zu geschehen (Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts9 Rz 311 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes).
Unter den festgestellten Umständen lagen nach Auffassung des Senats die Voraussetzungen einer geheimen Wahl, die die zuvor genannten Bedingungen erfüllt, nicht vor. Insbesondere war das unbeobachtete Ausfüllen von Stimmzetteln nicht gewährleistet.
Damit liegt ein fundamentaler Verstoß gegen § 1 Abs 1 der Wahlordnung vor, der in seinen Auswirkungen den gesamten Wahlvorgang betrifft und deshalb zur Aufhebung der Wahl zur Gänze führt (§ 46 Abs 4 der Verfahrensordnung).
Dieses Erkenntnis ist im Amtsblatt zu veröffentlichen.
Wien, am 6.11.2006
HRdOGH Dr. Manfred Vogel e.h.
Präsident
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