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Kirchengericht:Revisionssenat der Evangelischen Kirche A. und H.B.
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:12.09.2018
Aktenzeichen:R2/2018
Rechtsgrundlage:Art 30 Abs 4 KV, § 6 Abs 1 WahlO, § 21 WahlO
Vorinstanzen:keine
Schlagworte: Anfechtung einer Wahl (Art 119 Abs 3 KV), Aufhebung der Wahl, Wahl zur Gemeindevertretung, Wahlanfechtung stattgegeben, erheblicher Mangel der Wahl, geheime Wahl, unzuständiger Wahlkörper
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Leitsatz:

  1. Art 30 Abs 4 KV legt unmissverständlich fest, dass in Pfarrgemeinden mit einer oder mehreren Tochtergemeinden gesonderte Vertretungskörper für die Muttergemeinde und jede Tochtergemeinde zu wählen sind.
  2. Diese Bestimmung wird verletzt, wenn Wahlberechtigte einer Tochtergemeinde direkt an der Wahl der Gemeindevertretung der Muttergemeinde teilgenommen haben. Der Wahlkörper war damit unzuständig im Sinne des § 6 Abs 1 WahlO. Dies führt zur Aufhebung der Wahl.
  3. Fehlen im Fall einer Briefwahl von der Gemeinde zur Verfügung gestellte Briefumschläge und wird dadurch die Verwendung privater Briefumschläge erforderlich, wird der Grundsatz der geheimen Wahl verletzt. ( § 21 WahlO)
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Az: R2/2018
Der Revisionssenat der Evangelischen Kirche A. und H.B. in Österreich hat unter dem Vorsitz seines Präsidenten SPdOGH Dr. Manfred Vogel, der rechtskundigen Mitglieder SPdVwGH i.R. Dr. Ilona Giendl und Präsident des LG i.R. Dr. Hans-Peter Kirchgatterer sowie der zum geistlichen Amt befähigten Mitglieder Pfarrer i.R. Mag. Norbert Engele und Rektorin Mag. Johanna Uljas-Lutz im Beisein von Sandra Gajic als Schriftführerin
über die Anfechtung a) der am 1. und 8. April 2018 durchgeführten Wahl zur Gemeindevertretung der Evangelischen Pfarrgemeinde A.u.H.B. ***** und am 15. April 2018 in ***** sowie b) der Wahl des Presbyteriums der Evangelischen Pfarrgemeinde A.u.H.B. ***** am 29. April 2018 durch ***** den
Beschluss
gefasst:
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Der Wahlanfechtung wird Folge gegeben.
Die am 1. und 8. April 2018 durchgeführte Wahl zur Gemeindevertretung der Evangelischen Pfarrgemeinde A.u.H.B. ***** sowie die Wahl am 15. April 2018 in ***** zur Gemeindevertretung der Evangelischen Pfarrgemeinde A.u.H.B.***** und die Wahl des Presbyteriums der Evangelischen Pfarrgemeinde A.u.H.B. ***** am 29. April 2018 wird aufgehoben.
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B e g r ü n d u n g :

***** ist die Muttergemeinde, ***** die Tochtergemeinde.
Am 1. und 8. April 2018 fand in der Evangelischen Pfarrgemeinde A.u.H.B. ***** die Wahl zur Gemeindevertretung statt. Am 15. April fand die Wahl zur selben Gemeindevertretung in ***** statt. Am 29. April 2018 wurde in ***** das Presbyterium durch die neue Gemeindevertretung gewählt.
I.
Mit Eingabe vom 26. April 2018 (eingelangt am 27. April 2018) hat ***** die Wahlen vom 1. April, 8. April und 15. April 2018 sowie in eventu die Wahl vom 29. April 2018 angefochten.
In der Anfechtung wird im Wesentlichen ausgeführt, ***** sei in seiner Sitzung vom 24. April 2018 von Frau Kirchenrätin ***** vom Vorliegen der Wahlanfechtungsgründe informiert worden. Frau Kirchenrätin selbst habe von diesen Gründen am 18. April 2018 über ein Telefonat erfahren. In der Pfarrgemeinde ***** hätten Mitglieder der Tochtergemeinde ***** an der Wahl zur Gemeindevertretung der Muttergemeinde ***** aktiv teilgenommen. Diese Mitglieder wären aber nur zur Wahl der Gemeindevertretung der Tochtergemeinde ***** wahlberechtigt gewesen bzw. zur gemeinsamen Pfarrgemeindevertretung, wenn die Gemeindeordnung eine Direktwahl vorsehen würde.
Dies ergebe sich aus Art 30 Abs 4 Kirchenverfassung - KV, wonach in Pfarrgemeinden mit einer oder mehreren Tochtergemeinden gesonderte Vertretungskörper für die Muttergemeinde und für jede Tochtergemeinde zu wählen seien. Nach § 8 Abs 1 Wahlordnung - WahlO seien zu den Wahlen für diese Vertretungskörper nur die jeweiligen Gemeindemitglieder wahlberechtigt, und gemäß § 12 WahlO werde die Wahl der Gemeindevertretung von den wahlberechtigten Gemeindemitgliedern vorgenommen.
Weiters liege eine Rechtswidrigkeit der Wahl hinsichtlich der nicht zur Gemeindevertretung der Muttergemeinde ***** passiv Wahlberechtigten vor, weil laut Art 17 Abs 1 KV niemand zum Mitglied in zwei oder mehreren Vertretungskörpern oder Organen derselben Gliederung wählbar sei. Voraussetzung für die Wählbarkeit sei zudem laut § 10 Abs 1 WahlO die Zugehörigkeit zur jeweiligen Teilgemeinde. Es sei daher nicht zulässig, dass jemand sowohl in der Tochtergemeinde ***** als auch in der Muttergemeinde ***** zur Wahl stehe.
Es werden weitere Verstöße gegen die Wahlordnung geltend gemacht, weil u.a. entgegen § 18 Abs 3 WahlO auf dem Stimmzettel die Zahl der zu Wählenden nicht angegeben gewesen und fraglich sei, ob den Bestimmungen über die Briefwahl (§ 21 WahlO) Genüge getan wurde (wird näher ausgeführt).
Ergänzend wurde angemerkt, dass in der Tochtergemeinde ***** keine Gemeindevertretung gewählt wurde, sondern dort auf Basis von Art 33 Abs 1 KV die Gemeindeversammlung die Aufgaben der Gemeindevertretung übernimmt und bereits ein eigenes Presbyterium gewählt hat.
In eventu wurde die Wahl des Presbyteriums in der Pfarrgemeinde ***** wegen Rechtswidrigkeit angefochten. Hilfsweise deshalb, weil zum Zeitpunkt der Einbringung der Wahlanfechtung für ***** noch nicht klar war, ob bereits eine Wahl des Presbyteriums stattgefunden hatte. Die Wahl des Presbyteriums sei schon deshalb aufzuheben, weil die Wahl der Gemeindevertretung rechtswidrig gewesen sei.
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II.
In der Stellungnahme der Evangelischen Pfarrgemeinde ***** wird ausgeführt, die Pfarrgemeinde sei sich bewusst, dass durch unrichtige Interpretation der Kirchenverfassung seitens der Gemeinde die Ebenen Teilgemeinde und Gesamtgemeinde nicht sauber getrennt wurden. Durch die Wahl sei aber weder das Wahlgeheimnis, noch die Transparenz und Verständlichkeit des Wahlverfahrens für die wahlberechtigten Gemeindemitglieder an irgendeiner Stelle gestört oder beeinträchtigt worden, auch sei durch diese Unregelmäßigkeit das Gesamtergebnis weder beeinflusst noch verändert worden.
Zur Gemeindesituation wurde ausgeführt, dass seit April 2017 Senior Pfarrer ***** aus ***** Administrator sei. Es habe Unsicherheiten gegeben, ob ***** Tochtergemeinde oder Predigtstation sei. Eine Nachfrage im Herbst 2017 beim ***** habe ergeben, dass ***** staatskirchenrechtlich sehr wohl Tochtergemeinde sei und die Gremien ordnungsgemäß zu wählen seien. Bisher habe ein aktiver Mitarbeiterkreis in ***** unter der Leitung des per acclamationem vor über 30 Jahren bestellten „Kurators“ ***** sowohl für das Gemeindeleben, als auch für die Baulichkeiten von Kirche und Friedhof in Eigenverantwortung und im Einvernehmen mit der Pfarrgemeinde ***** gesorgt und diese bestens erhalten. Bis dato existiere keine Gemeindeordnung, man sei bemüht gewesen, in der Administrationszeit zum 1. Mal eine kirchenverfassungsgemäße Wahl durchzuführen, es sei darauf geachtet worden, Personen aus ***** in angemessenem Verhältnis in die Gremien zu integrieren. Die Erstellung einer Gemeindeordnung in der kurzen Zeit bis zur Wahl sei nicht möglich erschienen. An zwei Wahlsonntagen (1. und 8. April) sei in ***** und an einem Sonntag (15. April 2018) in ***** gewählt worden. In einer anschließenden Gemeindeversammlung sei zusätzlich auch das Presbyterium von ***** am 15. April gewählt worden. Über telefonische Anfrage gab der Senior Pfarrer bekannt, dass die Wahl zum Presbyterium in der Evangelischen Pfarrgemeinde ***** am 29. April 2018 stattgefunden hat.
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III.
Der in der Anfechtung dargestellte Sachverhalt wurde in der Stellungnahme der Pfarrgemeinde nicht bestritten. Der Revisionssenat geht daher von dem in der Anfechtung geschilderten Sachverhalt aus.
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IV.
Der Revisionssenat hat rechtlich erwogen:
1. Der Revisionssenat ist zuständig (Art 119 Abs 3 KV; § 7 Abs 1 WahlO).
2. Die Wahlanfechtung ist rechtzeitig (§ 43 Abs 2 Kirchliche Verfahrensordnung – KVO; § 7 Abs 3 WahlO).
3. Die Wahlanfechtung ist berechtigt.
a) Rechtsgrundlagen
§ 6 Abs 1 WahlO lautet:
Die Anfechtung einer Wahl kann erfolgen, wenn diese von einem unzuständigen Wahlkörper vorgenommen wurde, wenn Wahlbestechungen oder Wahlumtriebe stattfanden oder wenn sich sonstige grobe Ordnungswidrigkeiten ereigneten, die das Ergebnis der Wahl beeinflusst haben.
Art 30 Abs 4 KV lautet:
In Pfarrgemeinden mit einer oder mehreren Tochtergemeinden sind gesonderte Vertretungskörper für die Muttergemeinde und für jede Tochtergemeinde zu wählen.
§ 8 Abs 1 WahlO lautet:
Wahlberechtigt sind Gemeindemitglieder, die volljährig und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind; soferne sie konfirmiert sind, sind sie mit Vollendung des 14. Lebensjahres wahlberechtigt.
§ 12 WahlO lautet:
Die Wahl der Gemeindevertretung wird von den wahlberechtigten Gemeindegliedern vorgenommen.
Art 17 Abs 1 KV lautet:
Zum Mitglied in zwei oder mehreren Vertretungskörpern oder Organen der selben Gliederung ist niemand wählbar. Würde jemand auf Grund von Wahlen oder Entsendungen mehreren Vertretungskörpern oder kirchlichen Organen angehören, muss er oder sie sich für die Mitarbeit in einem der Vertretungskörper oder Organe entscheiden.
b) Schlussfolgerungen
Art 30 Abs 4 KV legt unmissverständlich fest, dass in Pfarrgemeinden mit einer oder mehreren Tochtergemeinden gesonderte Vertretungskörper für die Muttergemeinde und jede Tochtergemeinde zu wählen sind. Diese Bestimmung der Kirchenverfassung wurde durch die gewählte Vorgangsweise nicht eingehalten. Es wurde nämlich der Kreis der aktiv Wahlberechtigten für die Gemeindevertretungswahl der Muttergemeinde ***** dadurch erweitert,dass die Wahlberechtigten der Tochtergemeinde direkt an der Wahl der Gemeindevertretung der Muttergemeinde teilgenommen haben. Der Wahlkörper war damit unzuständig im Sinne des § 6 Abs 1 WahlO.
Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass durch die Erweiterung des Wahlkörpers ein anderes Wahlergebnis zustande kam, als dies bei getrennten Wahlen der Fall gewesen wäre.
Da schon die Gemeindevertretung der Muttergemeinde von einem unzuständigen Wahlkörper gewählt wurde, war auch das von dieser Gemeindevertretung gewählte Presbyterium von einem unrichtig zusammengesetzten Wahlkörper gewählt worden.
Schon aus diesen Gründen waren die angefochtenen Wahlen zur Gänze aufzuheben.
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V.
1. Lediglich aus Gründen der Verfahrensökonomie wird darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen der Wahlordnung auch hinsichtlich der Briefwahl einzuhalten sind (§ 21 WahlO). „Geheim“ ist ein Wahlrecht dann, wenn der Wähler seine Stimme derart abzugeben vermag, dass niemand erkennen kann, wen er gewählt hat. Die Abgabe der Stimme hat stets in einer für die Wahlbehörde und die Öffentlichkeit nicht erkennbaren Weise zu geschehen (Revisionssenat R 7/2005). Fehlen etwa von der Gemeinde zur Verfügung gestellte Kuverts und wird dadurch die Verwendung privater Briefumschläge erforderlich, ermöglicht dies unter Umständen Rückschlüsse auf den Absender (= Wähler).
2. Um zu verhindern, dass an zukünftigen Wahlen unberechtigte Wähler teilnehmen, wird empfohlen, die Wahlberechtigten umgehend zu befragen, zu welcher Teilgemeinde sie nach ihrer Ansicht zugehörig sind. Diese Stellungnahmen sind bei den zu erstellenden getrennten Wählerverzeichnissen für Mutter- und Tochtergemeinde zu berücksichtigen.
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Wien, am 12. September 2018
Dr. Manfred Vogel e.h.
Präsident